Startseite Sachbücher Die Stadt mit "NS-Stigma" Roman Leseprobe Buchkritik Bestellen Autoren gesucht Impressum |
von Hermann Kriegl
Vorbemerkung
Landsberg, eine Provinz mit wechselnden Gesichtern: Soldaten-Stadt, Jesuiten-Stadt, Behörden-Stadt und „Hitler-Stadt“. Die 1933 etwa 8 000 Seelen zählende Gemeinde trieb rapide voran und mauserte sich zur Mythos-orientierten Ausnahmeerscheinung: Landsberg stand seit 1923 im blendenden Licht der „Hitler-Zelle“. Ein Zauberwort, das sich an keinem anderen Ort unter derart absurdem Vorzeichen so kontinuierlich vermarkten ließ.
Im Wirbel des nationalsozialistischen Wetteifers: Die Sektion des Landsberger Alpenvereins (DAV), Schützen-Brigaden, Turn- und Sportverein. Gleichermaßen zugehörig: Der „Historische Verein“, dessen Vertreter sich heute vergebens abrackern, ihre Zunft wegen Juden-feindlicher Auswüchse in den Zwanzigerjahren, die Absolution zu erteilen. Dieweil verstehen sich die Altertums-Forscher sogar als Opfer des Nationalsozialismus, was gänzlich unzutreffend ist.
Der „Völkische Beobachter“ gab im Dritten Reich mächtige Impulse für das neue Verhalten und ideologische Denken und fixierte die nationalsozialistische Meinungsbildung. NS-Blätter wie „Der Stürmer“, „Hakenkreuz-Banner“, „Heimat und Volk“, „Landsberger Neueste Nachrichten“, „Landsberger Zeitung“, „Lech-Isar-Inn“, „Münchner Zeitung“ und „Nationalsozialistische Lehrer-Zeitung“ manipulierten die Zeitgenossen. Aus dem „Volksempfänger“ dröhnten zackige Marsch-Musik und markige Sprüche.
Die NS-Verwaltung der Stadt Landsberg perfektionierte sich zusehends. Die radikalen Demokratie-Gegner vertraten total den Rassismus, Zeitgenossen bekannten Farbe und es mangelte nicht am Engagement von hiesigen NS-Sympathisanten, die den Massenmord an Juden billigten oder stillschweigend in Kauf nahmen. Das unermesslich Furchtbare der KZ-Lager in und um Landsberg am Lech ist mit der Nazi-Stadt am Lech untrennbar verbunden.
Schwere Last auf Landsberger Buckel
Am 11. November 1938 brachten die publizistischen Unterstützer der Hitler-Scenerie effektvoll zu Papier: „Der Kreis Landsberg judenrein.“ Schon erstaunlich, wie ungebrochen die „ethnische Säuberung“ mitsamt den giftigen Begleiterscheinungen hingenommen wurde, und bisher manierliche Einheimische, sich an der Preisgabe rechtsstaatlicher Grundansichten beteiligten. Bei der erzwungenen Auswanderung gleichwohl dreiste Rechtsbeugung: Vor Erhalt der Ausländer-Pässe musste dem Finanz-Oberpräsidium München die obligate „Unbedenklichkeits-Bescheinigung“ und etwas Schriftliches von der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ vorliegen. Juden verloren ihr Heimat-Recht und die ungefähr 240 000 in Deutschland verbliebenen Juden, hofften vergeblich auf Pardon. In seiner Rede vor dem Reichs-Tag am 30. Januar 1939 prophezeite Adolf Hitler der „Minderrasse“ in Europa bereits die „Endlösung“.
Das Selbstverständnis der Stadt Landsberg am Lech lief ebenso darauf hinaus, die Juden so schnell wie möglich loszuwerden. 1939, als schon einiges im Argen lag, attestierte die „Landsberger Zeitung“ der „Hitler-Stadt“, eine hygienisch reine Bevölkerungs-Entwicklung: „Interessant ist es in diesem Zusammenhang, dass vor 75 Jahren in Landsberg nur 1 Jude vorhanden war. Im Jahre 1871 zählte man 3 Juden. 1876 schon 9 und 1885 schon 15 Juden. Die Zahl stieg später noch höher an, wird aber durch die neue Lösung der Juden-Frage bald ganz aus der Einwohnerliste verschwinden.“ Dieses antisemitische Einsprengsel erhellt die vorschnelle Aufnahme-Bereitschaft des Redakteurs Paul Winkelmayer, der die Grenze zum Rassismus überschritt, vielleicht freiwillig, blind oder pflichtgemäß, das macht aber dessen Zeilen nicht minder unverdaulich. Abgründiger ging es damals wirklich nimmer: Die Juden in der „Hitler-Stadt“ nur noch eine statistische Größe, die gelöscht werden musste. Ich bin weder Richter noch Moralist, sondern versuche als Historiker methodisch-kritisch darzustellen, „wie es eigentlich gewesen ist“, nicht jedoch, wie die Geschichte sich hätte befriedigender entfalten können. Es geht eindeutig darum, der Schönfärberei von geschichtlichen NS-Abläufen und den „Weichzeichnern“, die heute noch ihr Unwesen treiben, sachlich entgegenzutreten.
Organisation von Juden-Hass 1919-1920
Mitte April 1919 keimte im Offizierskasino des 9. F. A. R. (Feld-Artillerie-Regiment) der Entschluss, gegen die „jüdisch-bolschewistisch gelenkte“ Münchner Räte-Herrschaft, das Freikorps „Landsberg“ auf die Beine zu stellen. Der Standort Landsberg, nun Dreh- und Angel-Punkt für das gesamte Oberland, befand sich vollständig im Bann der aggressiven Freikorps-Propaganda. „So wurde hier der Name Landsberg eng verknüpft mit der heldenhaften Befreiung Münchens.“ Der nachträgliche Glanz dieser hochgestochenen Militär-Expedition, hing an den Fäden der typischen Intendanz des „Historischen Vereins“, nach heutiger Messlatte, eine üppige Lobhudelei in eigener Sache. Denn der regierungstreue Schutzbund sicherte lediglich vom 7. Mai bis 27. Juni 1919 Rosenheim und Aibling, dann Rückkehr nach München und Demobilisierung ab dem 14. Juli 1919. Im Februar 1920 lassen sich schon frappierende Kontakte zu Adolf Hitler und erste Heilgrüße aus Landsberg nachweisen. Der hiesige Bezirks-Eich-Meister Felix Danner stieß im „Sternecker-Bräu (München) auf Adolf Hitler, der ihn zum Ortsgruppen-Leiter ernannte, und so legte er unter persönlicher „Anleitung“ des österreichischen Meisters, am 25. September 1920 den Grundstein zur ersten Ortsgruppe „außerhalb Münchens.“
Landsberger „Juden-Jäger“
Uneingeschränkten Respekt stets jenen, die hoch im Partei- und Staatskurs standen, wie der am 13. September 1891 in Landsberg am Lech geborene Dr. Hans Burkhardt, NSDAP-Mitglied seit 1928, 1933-1939 Landrat in Fulda, Präsident des Provinzial-Landtages von Hessen-Nassau, stellvertretender Gauleiter (1934-1938) des Gaues Kurhessen, in seinem Distrikt ließ er Daten sammeln über die „ansässigen Juden“ und „Beinamen Israel und Sarah in Ausreiseanträge“ stempeln. 1939 fand er Verwendung im Generalgouvernement Polen (Kielce). 1940 avancierte er zum Regierungspräsidenten des Bezirkes Hohensalza (Warthegau). Bis Ende 1944 machte er Verwaltungsdienst, danach hat er sich irgendwie bis Landsberg am Lech durchgeschlagen. Der „Juden-Jäger“ fand Unterschlupf am 1. Februar 1945 in der „Hl. Geist-Spital-Pfründe-Anstalt“, Malteser-Straße 425 a, offenbar im Eigentum der Stadt Landsberg am Lech. Heute: "Heilig-Geist-Spital-Stiftung“, Kommerzien-Rat Winkelhofer-Platz 3, Landsberg. Das machte der Verfasser erstmals öffentlich. War Landsberg am Lech für ihn das Ende seines Werdeganges oder ist er auf der „Rattenlinie“ verduftet? Angeblich ist er in Fulda gesehen worden. Da bleiben also noch einige Fragen offen.
Konkret nachweisbar – wo das Grauen nistete
Integration von Kriegsindustrie
In der Gauleitung München hielt Bürgermeister Dr. Schmidhuber am 4. März 1936 seine schützende Hand über Landsberg und stritt für die Eingemeindung des Fliegerhorstes, den man bereits „Flugplatz Landsberg“ nannte. Darüber durfte während der Bauzeit nichts veröffentlicht werden. Amtsnachfolger Dr. Linn verfolgte die im wirtschaftlichen Interesse der Stadt Landsberg notwendige Eingliederung. Mitte 1939 schaltete sich Kreisleiter von Moltke ein. Schließlich gelang es, alle Widerstände aus dem Wege zu räumen.
„Geheime Reichssache“
Dr. Linn: „Die Errichtung der Sprengstoff-Werke ist z. Zt. im ganzen Reich das vordringlichste Bauvorhaben und geht vor sämtlichen, auch militärischen Bauten.“ Die Bauzeit beträgt mindestens 2 Jahre, da alles unterirdisch angelegt wird, erfuhr Dr. Linn von einem Kontaktmann aus Köln (Troisdorf bei Köln, Sitz der Dynamit AG, vormals Nobel). Vereinbart wurde, die Fabrik-Anlagen eng an die Stadt zu binden. Thematischer Durchziehen: Der „Frauenwald“ ist wesentlicher Teil des Areals von 240 Hektar, auf dem bald die Saat des Bösen aufging. Unterstützt von der Dynamit AG beantragte Dr. Linn am 29. April 1939 beim Landratsamt Landsberg die „Eingliederung des gesamten Frauenwaldes und zwar von der jetzigen Stadtgrenze aus bis zur Bahnstrecke Kaufering-Igling.“ Die Ratsherren nahmen die Einlassungen ihres Chefs in nichtöffentlicher Sitzung am 11. Mai 1939 „ohne Erinnerung“ zur Kenntnis. Die Stadt kletterte gleichsam auf einen Vulkan, dessen Ausbrüche sich schwerlich voraus berechnen ließen.
Tausende jüdische Arbeitssklaven beim Bunkerbau
Damit begann eine Horror-Geschichte ohnegleichen. Kurzum: 3 Bunkerwerke, jeder von einer Breite von 105 m und einer Länge von 360 m, halb unterirdisch halb oberirdisch, 5 Stockwerke, Betondecke 6 m. Die 3 Bunker sollen Bahnanschlüsse erhalten für eine Werkbahn, Streckenführung Augsburg-Kaufering. Kaufering-Schongau, Anschluss-Strecke München-Lindau und Richtung Kaufering-Igling. Weit über die Umwälzungen infolge des Baues, gehen aber die Veränderungen im Gefüge der Stadt, die die Werke bringen werden, wenn sie in Betrieb sind. Dann soll die Belegschaft 90 000 Mann betragen. In nicht öffentlicher Sitzung am 8. August 1944, am Nachmittag 4 Uhr im Herkomer-Saal des Alten Rathauses, ging es desgleichen um die NS-Rüstungsprojekte vor der Landsberger Haustüre. Dr. Linn überzeugte seine Rathaus-Partei auf einer Ebene, wo jede Menge Verdienst winkte. Es ist heute noch verwirrend, wie Barbarei sich in korrektes Kanzleideutsch kleidete, und was man damals über Konzentrations-Lager und Adolf Hitlers Wunder-Waffen alles wissen konnte.
Unbeschreiblich grausam: Schlussakt der Ausrottung
Im Mai 1944 startete westlich von Landsberg am Lech, das „kriegsentscheidende“ OT-Rüstungsobjekt „Ringeltaube“, im einzelnen also Bunkerwerke mit Tarnnamen „Diana II“, „Walnuss II“ und „Weingut II“, vornehmlich zur unterirdischen Produktion des Strahljägers ME 262 (Augsburg war Sitz des Flugzeugbauers Messerschmitt). An der Bahnlinie Kaufering-Landsberg entstand ein KZ, ab Juni 1944, Unterkunft für jüdische Zwangsarbeiter. Zweckorientiert errichtete man in und um Landsberg, insgesamt elf KZ, bekanntlich das gewaltigste Lager-System im Dritten Reich. Dort herrschte ein brutales Schreckensregiment. Die Maschinerie funktionierte bist zuletzt nach der Devise: „Vernichtung durch Arbeit“. KZ-Häftlinge mussten schuften bis zum Umfallen: Mindestens 15 000 tote Juden. Nicht zu vergessen der fabrikmäßige Massenmord an Juden: Sechs Millionen Opfer des Rassen-Wahns unter nationalsozialistischer Gewaltherrschaft. Gleichfalls ein bestialisches Verbrechen von historischer Tragweite, geschah im so genannten „Kranken-Lager“ bei Hurlach. Am 27. April 1945, wenige Stunden vor Ankunft der US-Soldaten, ließ SS-Arzt Dr. Blanke, das gesamte Invaliden-Revier anzünden und verurteilte dadurch entkräftete Häftlinge zum qualvollen Tod in den Flammen. Die ungeheuere Schandtat bleibt im Gedächtnis der Menschheit unauslöschlich eingebrannt.
Anmerkungen
Teilweise veröffentlicht, in: haGalil „Landsberg und der NS-Makel"
Teilweise veröffentlicht, in: haGalil Der 'Historische Verein' – Landsberg am Lech in der NS-Zeit’"
Teilweise Abschnitte, in: Adolf Hitlers „treueste Stadt“ – Landsberg am Lech 1933-1945 von Hermann Kriegl (2003, 3. Auflage 2020)
Einige Zeilen aus der Vorbemerkung, in: „Vom Wesen der NS-Provinz Landsberg (2012)