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In: Landsberg im 20. Jahrhundert
Anmerkungen zum Umgang mit Landsbergs Zeitgeschichte
Die Europäische Holocaustgedenkstätte
Offener Brief - Die „Hitler-Stadt“, LG 108(2009), Seite 101
Buchkritiker stellt Sachlage auf den Kopf
Sehr geehrter Herr Münzer,
eine Reihe der Behauptungen von Dr. Werner Fees-Buchecker in LG 108(2009) halten einer Nachprüfung nicht stand und bedürfen der Richtigstellung. Das Buch „Adolf Hitlers ‚treueste Stadt’“ erschien 2003 (nicht 2004!). Nur eine Kleinigkeit, aber Fees-Buchecker übersieht eben vieles. Und nicht nur das: Er nimmt überhaupt keine Notiz von den neuen Untersuchungsfeldern und Zielen, basierend auf der quellenkritischen Methode.
Er übergeht geflissentlich, was Akzente setzt und den Forschungsstand vorantreibt, und versucht Ergebnisse der Dokumentation „Die ‚Hitler-Stadt’“ zu verwischen. Nachfolgend führe ich als Beispiele spezifische Themenbündel an, die nicht nur lokalgeschichtlich in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rücken, von Fees-Buchecker aber nicht wahrgenommen werden:
„Vorwort“, „Einleitung“, „Anno 14: Im Rausch des Wir-Gefühls“, „Gescheiterte Revolution“, „Helm ab zum Gebet“, „Monströses Heldenmal“, „Volksfeind Nummer eins“, „Auf der NS-Propagandaleiter“ („Inkunabel des Landsberger Antisemitismus“), „Das völkische Heilszeichen“, „Die ‚judenreine’ Garnison“, „Als die radikale Hetzjagd begann“, “Blut und Rasse“, „Reichspogrom und Widerstand“, „Braune Provinzkultur“, „Erzieher im Braunhemd“, „Der Historische Verein“, „Wertschätzung der Besten“, „Heldenplatz Landsberg“ (Schlageter, Hindenburg, Weddigen, Spee, Richthofen, Immelmann), „Die ‚Edel-Feder’: Mittendrin und nicht nur dabei?“, „Unbeschreiblich grausam: Schlussakt der Ausrottung“, „DP-Station Landsberg: Umsteigen nach Israel“, „Der ‚Museumsjude’“. Die einzelnen Kapitel stehen nicht isoliert, sondern harte Fakten durchziehen wie ein roter Leitfaden den Text.
Das alles unterschlägt Fees-Buchecker, weil es nicht in sein Konzept passt. Das ist nur ein Beispiel für die durchgängige Systematik des Rezensenten, der unverhohlen beabsichtigt, das Buch klein zu reden.
In richterlichen Sprüchen eifert er gegen den Verfasser, der sich - angeblich - „dauernd selbst“ zitiere. Anstatt die Bandbreite des opulenten Anmerkungsapparates auch nur anzutasten, lässt er die Vernetzung mit zahlreichen Quellen einfach in der Versenkung verschwinden.
Dem Rezensenten scheint entgangen zu sein, welchen Stellenwert die Darstellung der nazistischen Infektionsprozesse grundsätzlich einnimmt. Darüber hinaus bietet die Fülle von verbürgten Fakten dem Nachleser hinreichend Anlass zur eigenen Meinungsbildung über die chronische Hitlerei und Judenfeindschaft in Landsberg am Lech.
Fees-Buchecker, der sich viel auf seine Redlichkeit zugute hält, reagiert gereizt und probiert krampfhaft das Buch madig zu machen. Etwa, wenn er die „katastrophale Interpunktion“ geradezu exzessiv einklagt. Belege dafür bleibt er schuldig. Leser, die mit der Materie besser vertraut sind, werden feststellen, dass hier die neuen Rechtschreib- und Interpunktionsregeln gelten.
Das Kapitel über die „Künstler-Gilde“ ist eindeutig genug, um die komplexe Symbiose zwischen NSDAP und den Produzenten der NS-Kunst plausibel zu machen. Doch die kritische Erinnerungspraxis stört sichtlich den Rezensenten, wenngleich entlarvende Bekenntnisse der Hitler-frommen und politisch-opportunistischen Künstler für sich selbst sprechen. Fees-Buchecker, Landsbergs Stadtheimatpfleger für Baudenkmäler, entwickelt besondere Sensibilität und ist offenbar schwerlich geneigt, den NS-Kunst-Bund Landsberg-Ammersee zu demaskieren.
Er gibt sich alle Mühe, Landsbergs Inkunabel des Antisemitismus als die „Ausnahme“, ja, als folgenlosen oder peripheren Ausrutscher zu kaschieren. Es ist eine recht oberflächliche Betrachtung, die das Problem nur auf 1923 reduziert und womöglich suggerieren soll, der „Historische Verein“ habe mit Judenhass sonst nichts am Hut gehabt. Ein peinlicher Unfall in der Vereinsgeschichte? Ist damit die rassistisch motivierte Judenfeindschaft der Zwanzigerjahre exkulpiert? So viel ist sicher: Der Ungeist ist nicht über Nacht verflogen beim Verein, der 1933 scharf auf Nazi-Kurs steuerte. Das erweckt vielleicht den Eindruck, Fees-Buchecker habe – wie so mancher Verharmloser – ein selektives Gedächtnis, wenn es um diese Jahre geht.
Aufschlussreich ist, was der Rezensent anmahnt, doch selbst nicht einlösen kann: den sachbezogenen Umgang mit der einheimischen „Gleichschaltung“. In Landsberg, insbesondere beim „Historischen Verein“, der sich voll und ganz in den Dienst des Nationalsozialismus stellte, brauchten die Aktionsleiter nichts gewalttätig beiseite schieben, hier begrüßte die Mehrheit zumindest seit 1933, eine eindimensionale Politik. Im gleichen Jahr folgte die Presse indes den Anweisungen des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda, das den Informationsfluss wie aus einem Guss absicherte. Die Zwänge der Presselenkung gab es schon 1933 – nach Fees-Buchecker jedoch erst 1936.
Ist das eine ehrliche Aufarbeitung der Vereinsgeschichte, wenn Fees-Buchecker auf einen Nebenschauplatz ausweicht und mit dem Finger auf andere zeigt? Eine verwundbare Flanke entdeckt er nämlich bei der „Heimatzeitschrift ‚Lech-Isar-Land’, die einen viel stärkeren völkisch-nationalistischen Tonfall anschlug“.
Egal, wie die Denunziation zu bewerten ist: Nirgendwo in Bayerns „Historischen Vereinen“ ist Vergleichbares zur öffentlichen Judendiffamierung 1923 in den politischen Niederungen der Landsberger Provinz bekannt. Dieser inspirierende Sonderpart des „Historischen Vereins“ ist ein eklatantes Beispiel für antijüdische Stimmungsmache – zehn Jahre vor Hitler.
Diese antisemitische Publikation schuf jene Atmosphäre in der Stadt, die mit der „Entjudung“ eigene Visionen rechtfertigte. Fees-Bucheckers unzureichendes Reflexionsniveau kann nicht befriedigen, weil er sein Amt zu sehr parteiisch für „Historischen Verein“ und Stadt einbringt und nicht zeigt, was in der Geschichte eigentlich steckt.
Fees-Bucheckers Lob für Klaus Münzer verschlägt einem den Atem. Gemeint ist der diesbezügliche Hinweis auf dessen Betrachtung „150 Jahre Historischer Verein“ (LG 2006), wo auf ein paar schmalen Zeilen relativ harmlose Resultate der NS-Zeit bilanziert werden.
Das heimtückische Strategiepapier im braunen Frühling blendet Klaus Münzer lieber aus. Man sucht vergeblich nach dem antisemitischen Vorleben des „Historischen Vereins“ in den zwanziger Jahren. Die perfide Judenhetze wird mit keiner Silbe erwähnt.
Klaus Münzer streift lediglich Wechsel der Vereinsführung (1934) und Schriftleitung der LG (1936). Für die Aussonderung des Aufsatzes über die „gottselige Bäuerin“ Katharina Lichtenstern - vorgeblich Stolperstein für Redakteur Karl Emerich, katholischer Pfarrer aus Huglfing - ist schon erheblich mehr Platz im Raster der LG. Was die Affäre wegen der Schrift anlangt, konstatiert Fees-Buchecker sogar einen fast ins Groteske gesteigerten Spezialfall, anscheinend um den „Historischen Verein“ von der Täter- in die Opferrolle zu manövrieren, wie seine persönlichen Randbemerkungen vermuten lassen.
Dann vermerkt Klaus Münzer noch „eine einschneidende Änderung“ 1937: Die Generalversammlung beschloss die Überlassung des Museums an die Stadt zur Aufnahme „in geeigneten Räumen.“ Klaus Münzer machte es sich leicht, indem er die kritische Auseinandersetzung mit der antisemitischen und nationalsozialsozialistischen Historie des Vereins augenscheinlich vermied.
Kein Wort fällt über enge, personelle Verflechtungen des „Historischen Vereins“ mit Stadt und NSDAP, abgesehen von der Nennung von Pg. Hanns Frank, der als Schriftleiter der LG die Gewähr leistete, dass sich verlustbringende Fehler nicht wiederholten. Nach dem Reichschriftleitergesetz vom 4.10.1933 mussten Journalisten und Redakteure die rassischen und ideologischen Voraussetzungen erfüllen. Mutmaßlich war nicht jeder erznazistisch im „Historischen Verein“, aber auch notorisch judenfeindliche Konservative, modische Salon-Genossen und gefällige Mundhalter waren verantwortliche Mitträger des NS-Regimes.
Klaus Münzer und Fees-Buchecker hüllen sich in Schweigen, man vermisst Transparenz und Aufklärung. Das Interesse an überzeugender Aufarbeitung der NS-Vergangenheit des „Historischen Vereins“ hat zuvorderst das Buch „Die ‚Hitler-Stadt’“ wach gerüttelt.
Grundlegende Voraussetzung einer sach- und fachgemäßen Rezension ist das unbefangene Aneignen und Begutachten des Buchinhalts, gepaart mit Kenntnis und Anerkennung der historischen Realität. Fees-Buchecker liefert den Beweis, wie Anspruch und Wirklichkeit auseinanderdriften können. Die als Rezension getarnte Abrechnung ist eine pauschale Abqualifizierung der Studie „Die ‚Hitler-Stadt’“.
Die von Fees-Buchecker verbreitete Meinungsäußerung ist beweisbar falsch. Ich fordere Sie auf, die verkehrten Behauptungen künftig zu unterlassen und den offenen Brief in der nächsten Nummer der LG ungekürzt zu veröffentlichen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Hermann Kriegl
„Landsberger Geschichtsblätter“ (LG)
Aufgrund des Nichtabdrucks des offenen Briefes vom 18.03.10 durch die Schriftleitung der „Landsberger Geschichtsblätter“ wird die gebotene freie Meinungs- und Willensbildung des Lesepublikums erschwert.